Berufliche Chancen mit Handicap

Wir sind ein moderner Staat.

Niemand darf benachteiligt werden, so steht es in Artikel 3 des Grundgesetzes geschrieben. Das verspricht Chancengleichheit von Geburt an, auch für Menschen mit Handicap.

Mehr noch.

Die UN-Konvention zur Wahrung der Rechte behinderter Menschen aus dem Jahre 2009 ist auch von Deutschland ratifiziert worden.

Damit erlangen die dort formulierten Grundsätze auch bei uns den Rang rechtlich verbindlicher Normen. Das mag überraschen, wenn man einen Blick auf die Arbeitsmarktsituation behinderter Menschen wirft. Allein in Berlin leben rund 350.000 schwerstbehinderte Menschen, davon etwa 150.000 im erwerbsfähigen Alter. Allerdings ist davon nur etwa ein Drittel auf dem ersten Arbeitsmarkt beschäftigt, knapp 9.000 Schwerstbehinderte werden in Werkstätten beschäftigt.

Nur jeder dritte Erwerbsfähige mit Handicap findet eine betriebliche Eingliederung.

Da hilft bisher auch nicht die Integrationsquote, die Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten zur Einstellung behinderter Mitarbeiter verpflichten will. Denn die Zahlung der Ausgleichsabgabe als „Strafe“ für die Nichterfüllung der Quote von mindestens 5 Prozent, tut in der Regel nicht weh.

Viel größer sind leider immer noch die Vorbehalte.

Dabei ist aber oft auch mangelnde Sachkenntnis im Spiel. Die sogenannte „Unkündbarkeit“ von Schwerbehinderten, die Arbeitgeber so fürchten, gibt es überhaupt nicht. Der besondere Kündigungsschutz soll lediglich mit der Einschaltung des Integrationsamtes verhindern, dass die Behinderung Grund einer Kündigung ist. Bei Leistungsmängeln und anderen Gründen, steht auch hier einer Kündigung nichts im Wege. Die sonstigen gesetzlichen Nachteilsausgleiche sind eigentlich nicht geeignet, Arbeitgeber grundsätzlich zu verschrecken.

Buch: Du gehörst zu uns oder Jeder ist ein bisschen anders

Dort gibt es Maßnahmen und Leistungen zur Gleichstellung, die vor allem die Einrichtung spezieller Arbeitsplätze unterstützen. Zugegeben, der Papierkram hierzu ist lästig, aber die Leistungen lassen sich einfordern. Der Zusatzurlaub von 5 Tagen bei einer 5-Tage-Arbeitswoche ist wohl kein wirkliches Hemmnis, um Schwerbehinderte als Mitarbeiter einzustellen. Die mangelnde Beschäftigungsbereitschaft hat ihre wirklichen Gründe in den negativen Einstellungsvorbehalten. Es bestehen erhebliche Bedenken innerhalb der Gesellschaft bezüglich der Leistungsfähigkeit von Menschen mit Behinderungen.

Es herrscht noch immer das stereotype Bild der Gebrechlichkeit, soweit man an Behinderung denkt.

Damit werden Krankheit und Fehlzeiten assoziiert, die Barriere wird für Bewerber kaum überwindbar. Ein weiterer Grund für die offenkundige Benachteiligung am Arbeitsmarkt ist die mangelhafte Schulausbildung. Die Behinderungen werden während der Schulzeit in Förderschwerpunkte aufgeteilt. Einige dieser Förderschwerpunkte beinhalten von vornherein keinen Schulabschluss als Bildungsziel.

Andere behinderte Kinder versinken im System von Mangel und Provisorien.

Am Ende verlassen zwei Drittel aller Förderschüler die Institution Schule ohne Abschluss und verlieren sich danach oft in Lebenswegen, die ohne staatliche Hilfe nicht mehr möglich sind. Hier liegt wohl das eigentliche Problem andauernder Benachteiligung. Eine Bildung ohne Einteilungen in Kategorien von Beginn an, Erfolgsverpflichtungen auch für das Lehrpersonal und zeitgemäße Ausstattungen aller Bildungseinrichtungen, ließen uns als Gesellschaft die Denkbarrieren überwinden. Dann wären die Übergänge in Ausbildungen wesentlich häufiger und leichter, weil wachsende Selbstverständlichkeit auch Betriebe zur Schaffung entsprechender Ausbildungsplätze anhalten würde. Erste gute Ansätze gibt es bereits, allerdings muss auch dabei der allumfassende Gedanke der Inklusion angemahnt werden. Die Bevorzugung bestimmter Gruppen von Behinderten ist ebenso ungeeignet die Ungleichgewichte am Arbeitsmarkt zu beseitigen, wie die Zusammenfassung von Behinderten in speziellen Einrichtungen. 

Wenn wir damit beginnen, allen Kindern von Beginn an die gleichen Chancen zu geben, dann setzt sich die Chancengleichheit auch am Arbeitsmarkt fort. Erst dann werden wir dem Anspruch gerecht, den wir uns mit Artikel 3 des Grundgesetzes selbst auferlegt haben. Textquelle: Ralph Kaste

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