Neuer Wind in der Bestattungskultur
Die wohl bekanntesten alternativen Bestattungsmöglichkeiten sind die See- und die Waldbestattung.
Trauer und Abschied gehören zum Leben und zu den Menschen.
Soviel man sich auch bemüht, den eigenen irdischen Verbleib möglichst lange zu erhalten, der Tod hat bisher noch jedes Leben beendet. Die Rituale darum sind zwangsläufig gekoppelt an die jeweilige gesellschaftliche Entwicklung. Die Gräber und ihre Grabmahle waren oft auch Ausdruck der gesellschaftlichen Stellung. Noch heute künden viele Bauwerke von dieser Kultur.
Waren in früherer Zeit alle Riten um die Trauer streng festgelegt, wenn auch regional unterschiedlich, so strebt der Mensch heute nach mehr Individualität und Freiheit. Waren noch Anfang des 20. Jahrhunderts festgelegte Trauerzeiten verbindlich, in denen die Trauerkleidung zu tragen war, so gilt derlei heute größtenteils als überholt. Auch die Farbe Schwarz ist heute nicht mehr zwangsläufig mit Trauer verbunden.
Der Bevölkerungsanstieg und der damit verbundene Bedarf an Grabflächen veränderten auch die Strukturen der Friedhöfe. Der erst 1934 offiziell eingeführte gesetzliche Bestattungs- und Friedhofszwang gilt allerdings bis heute. Die Aufbewahrung und Bestattung der Urne auf privaten Flächen ist daher immer noch die Ausnahme. Doch auch hier regt sich Widerstand. In Holland und Frankreich kennt man derlei Beschränkung zum Beispiel nicht, was der Verehrung der Toten aber keinerlei Abbruch beschert hat.
Gräber werden unwichtiger.
Die Trauer wird privatautonomer und folgt damit den verschiedensten Lebensentwürfen unserer Zeit. Die Friedhofskultur steht vor einem Wertewandel: Die wohl bekanntesten alternativen Bestattungsmöglichkeiten sind die See- und die Waldbestattung. Diese Formen verzeichnen enorme Zuwachsraten. Bei der Seebestattung wird die Asche des Verstorbenen in einer Mineralstoffurne dem Wasser übergeben, wo sie sich auflöst. Eine Namenstafel gibt es in der Regel nicht. Bei der Waldbestattung wird eine biologische abbaubare Urne mit der Asche der Verstorbenen am Fuße eines Baumes beigesetzt. Das Bundesland Bremen hat dem liberalen Zeitgeist folgend inzwischen sogar die Aufbewahrung der Urne in der Wohnung der Nachkommen erlaubt.
Der Tod entwickelt sich also weiter, zumindest für Hinterbliebene, wenn es um Trauer und Bestattungen geht. So geht der Trend auch ganz klar hin zur Privatisierung von Friedhöfen. Durch die neue Konkurrenz entwickeln sich auch kommunale Friedhöfe weiter. Der landschaftliche Friedhof als frei zugänglicher Park mit diversen anderen Möglichkeiten ist im Kommen. Auch Wohngenossenschaften haben für sich diese Tendenzen erkannt. Mit eigenen kostenlosen Friedhöfen für ihre Bewohner schaffen sie ein völlig neues Gemein- und Geborgenheitsgefühl, so wie es früher in Dörfern üblich war. Ähnlich motiviert sind Bestattungsangebote zusammen mit dem Lieblingstier, wie sie kürzlich in einigen Gegenden ermöglicht wurden. Hier werden in letzter Zeit viele rechtliche Grenzen der Vergangenheit aufgebrochen.
Doch auch ein anderer Bereich wächst: Die Trauer im Internet. Man kann die Ehrung der Toten schließlich auch durch einen Klick ausdrücken. Das mindert die Qualität des Gefühls nicht im geringsten. So wie das Leben immer digitaler wird, gilt dies auch für den Fall der Trauer und des Gedenkens. Plaketten auf Grabsteinen, die via Smartphone auf Gedenkseiten im Internet verlinken: QR-Codes auf dem Friedhof sind zwar noch eine Seltenheit, doch der Anfang ist gemacht. In jedem Fall ein zukunftsträchtiger Markt – denn gestorben wird (noch) immer. Textquelle: Ralph Kaste